«Eine Elendsarbeit ist das!», konnte mein Vater sagen, wenn er an einem verregneten Frühlingstag unseren Kartoffelacker umstechen musste und ihm niemand dabei half. «Ein Elend ist das», kennen wir als Redewendung heute noch. Und «ins Elend fallen», ist eine immer noch gängige Redewendung, wenn auch schon sehr aus der Mode gekommen.

Doch abgesehen davon, dass «Elend» ein kleiner Ort im Harz ist (mit Bahnhof!), was bedeutet denn «Elend»? Und was hat es mit Arbeit zu tun? – Schnell an der Hand wäre wir mit Formulierungen wie: «Wenn einer nicht arbeitet, fällt er ins Elend».

Doch das war einmal. Heute denken wir, dass jemand, der keine Arbeit findet oder «hat», Arbeitslosengeld beanspruchen kann. Es soll ja keiner «ins Elend fallen», so hätten es meine Grosseltern noch formuliert.

Doch so einfach ist das nicht.

«Das Elend» kann einen schon vor der Arbeit packen, oder auch während und nach der Arbeit. Da spricht man vom «heulend Elend», von der «elenden Arbeit» und nicht zu selten ist selbst das Ergebnis von Arbeit «Elend».

Gartenarbeit kann manchmal "elend lang" dauern und sehr anstrengend sein.

Ein Beispiel aus meinem «echten Leben»:

Für Kartoffel habe dieses Jahr die dreifache Zeit verwendet als in anderen Jahren, aber nur 15% der Ernte erzielt. (Klima, Käfer etc.). Für Zwetschgen dagegen habe keine Zeit verwendet (nur die zwei Stunden Baumschnitt im Vorjahr), aber über einen Zentner Ernte erzielt.

Was genau ist noch einmal «Elend»?

Was ist Elend?

Dem Wortsinn und der Wortgeschichte nach bedeutet «Elend» im Althochdeutschen noch so viel wie «aus einem anderen Lande kommend» («alilenti», sagen die Sprachwissenschaftler). Aus historischer Sicht ist dann aber schon bald nicht der Ausländer in unserem heutigen Sinn gemeint, sondern schnell wird «im Elend leben» zum Synonym von «ausserhalb des geschätzten Bereichs» einer Stadt oder eine Burggemeinschaft lebend. Ausserhalb der schützenden Mauern, Überfällen und Räubern ausgeliefert, und ohne Bürgerrechte.

«Elend» ist so gesehen auch Vereinsamung, Entfremdung, «Draussen-Sein», und die Brücke über das Barock (so etwa in einigen Bachkantaten fast noch synonym für ein Verstossen-Sein) in die Neuzeit schliesst sich.

Wir tun gut daran, wenn wir uns an den eigentlichen Wortsinn erinnern: Elend ist Vereinzelung. Nicht zwingend Vereinsamung, aber vom Wortsinn her definitiv Ausschluss aus dem Mainstream einer Gesellschaft. Die mit dem «Elend» zumeist mitgedachte Verarmung scheint dem Autor oft eher eine Folge, denn eine Ursache des Ausschlusses.

Das ist – nein, besser: war – lange Zeit das Problem der Ostdeutschen, zumindest der Ostdeutschen der in der EX-DDR gar nicht so massiv vorhandenen Baby-Boomer-Generation: Sie hatten nach der Wende ihren Platz in der Gesellschaft verloren, wenn sie arbeitslos waren. Was sehr häufig vorkam. Und viele sind dann am Leben verzweifelt. Eine ganze Reihe von ihnen hat sich schliesslich den «Alles-sollte-anders-sein-Parteien» angeschlossen. – Kein Wunder.

Arbeit kann Identität bedeuten. Und wenn «Elend» im Kern Vereinsamung, ja Beziehungslosigkeit zum Sozial-Gefüge der Erwerbstätigen bedeutet, dann können auch wir auf den Gedanken kommen, dass «Elend» sowohl als Frucht ergebnisloser Arbeit entstehen kann (warum auch immer kein zureichendes Arbeits-Ergebnis entstehen konnte), als auch als Ergebnis von Arbeitslosigkeit.

Am Ende stehen wir im schlimmen Fall da «Mit ohne Alles»: Ohne Werk, ohne Geld, ohne Schutz, ohne Beziehungen. So ist Elend. Einfach elend.

Was ist Arbeit?

Was aber ist dann Arbeit? Und wann wird aus ihr – oder ohne sie – «Elend»? Meist stehen ja Broterwerb und Altersvorsorge im Vordergrund des öffentlichen Bewusstseins, geradeso als würden – in mittelalterlichen Termini ausgedrückt – die Leibeigenen das Denken prägen, nicht die «Freien Bauern».

Die Antwort auf die spannende, aber einen komplexen Horizont aufspannende Frage würde in einen einzelnen Beitrag viel zu weit führen. Hier also nur Andeutungen, aber immerhin die.

Ein erneuter Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit zeigt, dass sie immer mit Beziehung zu tun hat, wir müssen nur einmal genauer hinsehen: Es gibt in der Arbeit

  • «Werk-Beziehungen»,
  • es gibt gesellschaftliche Bezüge und Beziehungen,
  • es gibt Finanz-Bezüge und
  • es gibt darin natürlich auch vielfältige menschliche Bezüge und Beziehungen. Immerhin entstehen ein wesentlicher Teil der Ehen und Partnerschaften aus Arbeits-Beziehungen oder in deren Umfeld.

Wenn man nach den Arten und Gestalten von Beziehungen im Mensch-Sein sucht, dann ist die Antwort bei dem Thema «Arbeit» am vielschichtigsten, am reichsten, aber auch am schwierigsten.

Weit von alters her war die Arbeit eine der Grundaufgaben des Menschen, und ich beginne hier ausnahmsweise tatsächlich «mit Adam und Eva»: «Bebauen und Bewachen» sollten die Menschen (das ist paarweise gedacht) den Garten Eden (Mos. 2,15):

«Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte»

Schon bald (also früh in der Geschichte) wurde das jedoch «politisch», arbeitsteilig (sic; auch schon vor Tausenden von Jahren), hierarchisch und elitär: Für «die Griechen» (die uns überlieferte Kultur war meist eine Oberschicht-Kultur; inkl. des Demokratiebegriffs) und dann am stärksten für die Oberschicht der Römer war Arbeit eine Art Plage, sie war – wörtlich – «Nicht-Musse», «neg-otium». Und wenn es irgend ging, überliess man das gerne den Händlern, den Bauern, den Sklaven und – den Fremden. Sogar den Politikern, ich sage das mit süffisantem Unterton.

Kaiserin Theodora stieg am Ende der Antike aus wirklichem Elend durch viel Raffinesse und unerhörten Einsatz zur höchstmöglichen Position auf

Ein Beispiel, aus der Antike wohl, aber doch irgendwie aktuell:

Der zeitweilige Lehrer Kaiser Neros («Brand von Rom»), Seneca, wägt am seinem Lebensende ab, ob «Nicht-Arbeit» («Muse») oder politische Betätigung nützlicher sei für den Staat. Und man spürt dass er sich, wohl angesichts seiner eigenen Lebensgeschichte (er wurde zum Selbstmord gedungen, und schreibt das alles kurz vor seinem gar nicht so freien Tod in dem noch heute lesenswerten Buch «de otio», «über die Muse»), nicht so recht entscheiden kann, ob Muse («otium») oder Politik wichtiger sei. Und er «rettet» sich glänzend, in ein «verbindendes Drittes», den allgemeinen Nutzen nämlich:

«Dieses wird doch wohl von einem Menschen gefordert, dass er den Menschen nützt…»

Wenn nun aber noch heute im «Verhandeln» (engl. «to neg-otiate») so etwas nachklingt, wie «anstrengende Geschäftigkeit», dann kratzen sich moderne «Arbeitswütige» am Kopf: Was hat das zu bedeuten? Was ist denn unsere Arbeit in Wirklichkeit? Und wie gestalte ich meine Beziehungen, zu ihr hin und in ihr? Wie nütze ich mit meiner Arbeit mir und anderen am meisten?

Ich gestatte mir die Bemerkung, dass Ratlosigkeit dieser Art auch ein Elend sein kann. Auch über Arbeit darf nachgedacht werden.

Zwischen Lust und Last

Für jede und jeden, der nur halbwegs bei Sinnen ist (ich entschuldige mich für den krassen Ton), ist Arbeit eine Lust: Es macht Freude zu gestalten (Werk), zu kommunizieren (Markt) und zu verkaufen (Finanzen).

Aber – Adam und Eva lassen erneut grüssen – Arbeit bringt in hohem Masse Mühsal, es scheint, als ob die Erde verflucht sei, und aus der unseligen Spannung scheint es kein Entrinnen zu geben:

«… verflucht sei die Erde um deinetwillen! (lat. ¨überdeutlich: «maledicta terra in opere tuo») Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.»

Und selbst wenn wir das als alte Geschichten abtun: in unausweichlicher Weise ist die Arbeit auch uns noch oft echte Last. Besonders in den schwierigen Fällen:

  • Das «Werk» gelingt nicht oder zu langsam,
  • «der Markt» hört einem irgendwie nicht zu und
  • die Finanzen verschwinden in schnellerem Masse als sie in der Kasse klingeln.

Es kann im Arbeiten Scheitern drohen: Dann steht die Existenz auf dem Spiel, das ganze Leben kann misslingen, oder alles war umsonst, vergeblich (lat.: «frustra») und man ist frustriert.

Keine Zeit für «gute Zeit»

Dazu noch der zerreissende Zielkonflikt zu den anderen Ebenen des Lebens: Oft

  • machen wir die Natur um uns herum kaputt,
  • «der Staat» will dass wir überspitzt gesagt mehr «bei-steuern» als wir einnehmen,
  •  «unser Verein» kostet uns viel Zeit und Nerven,
  • dito die Familie, die Kinder,
  • Partner und Partnerin, und
  • für «einen selbst» bleibt nur noch Stunde 27 und 28 des Tages und das auch nur am achten Tag der Woche.
  • Für so etwas wie «was ist mir eigentlich heilig, was ist mir grundlegend wichtig, oder sehr, sehr wertvoll…», für so etwas bleibt auch kaum noch Zeit.

Zeit wird zur Falle zwischen Nichts und Allem. Eine Falle, die uns zu zerreissen droht. Es drohen ungute Zeiten.

Wir können das hier nicht auflösen. Kurz nur: Es wird nicht immer gelingen, «dem Elend» zu entrinnen. Erreicht man in der Schweiz durch welche Fügung auch immer das 85. Lebensjahr, dann muss man zu 33% damit rechnen sehr einsam zu sein. Betroffen sind in der Schweiz rund 90’000 Menschen. Menschen, die sich am Ende verstecken, damit «das Elend» niemand mehr sehen muss. Ausnahmen bestätigen diese Regel eher. So jüngst eine auch vom SRF veröffentlichte Umfrage.

Wir entrinnen diesem inneren Zerriss der Arbeit nicht. Weder ihren Mühen, während wir arbeiten, noch ihren Folgen, besonders dann nicht, wenn wir umsonst gearbeitet haben.

Arbeit, auch wenn sie sehr gute und äusserst wichtige Funktionen hat, bewahrt nicht in allen Fällen vor Elend, gleich welcher Art. Aber man sollte es, meint der Unterzeichner, wenigstens – so intelligent es geht und mit möglichst guten Freunden (!) – versuchen.

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