Der Zufall, die Methode und die Virtuosität des Seins

«Zufall oder Methode»: Was macht Coaching eigentlich erfolgreich? Es sind dies klassische Fragen, die in ihrer besten Form den geistigen Diskurs des vergangenen Jahrhunderts mitgeprägt haben: «Wahrheit und Methode» (Hans-Georg Gadamer, erschienen 1960) wurde immerhin eines der berühmtesten philosophischen Abhandlungen des 20. Jahrhunderts. Und das auch aus dem Grund, dass man schon vor Jahrzehnten meinte, in einem typisch methodischen Vorgehen (ein Kennzeichen der Neuzeit) etwas zu sehen, das die «Phänomene» gewissermassen zu etwas zwingt, was sie nicht selbst sein wollen. Bildlich gesprochen.

«Zufall und Notwendigkeit» (Jacques Monod, 1965 Nobelpreisträger in Physiologie/Medizin) versuchte im Wesentlichen zu klären, wie aus Zufälligkeiten Gesetzmässigkeiten entstehen können. Sein Gebiet war die Evolution.

Beide Fragen spielen in abgeleiteter Form beim Coaching zusammen, aber hier und heute geht es weniger um die theoretischen Überlegungen. Denn es geht auch in den unzähligen Beiträgen im Rahmen der Social Media letztlich um etwas Praktisches:

«Was garantiert den Erfolg einer Beratung?» Müssen wir alles dem Zufall überlassen, oder noch mehr: Entstehen aus zufälligen Entwicklungen gewissermassen evolutiv, sinnvolle oder hilfreiche Züge eines Lebens. Und worin läge in all dem ein hilfreiches, «zurechtbringendes» oder gar heilendes Element.

Oder garantieren uns Methoden und fixierte Techniken alleine den so genannten Erfolg? Und wann wissen wir denn überhaupt, ob unser Coaching erfolgreich war? Und wann oder unter welchen Umständen erkennen wir denn «den Erfolg» bei den Beratenen?

Umfangreiche Fragen, deren Beantwortung kaum in der Kürze möglich ist.

Aus meiner ganz persönlichen Sicht will ich aber doch einige Schlaglichter setzen und – wenn es einigen Lust macht – auch eine Diskussion entfalten. Drei Thesen also sollen es in aller Kürze richten.

Zufall ist kein Arbeitsprinzip

These 1: Wenn wir in einer Beratung einfach alles dem Zufall überlassen (am schlimmsten unter so gut gemeinten Sätzen wie «Alles, was der Kunde will…»), desavouieren wir letztlich nicht nur unser Gegenüber (Klientel), sondern wir verdienen auch unseren Verdienst nicht. Auf jeden Fall verdienen wir keine Meriten. Wo wäre denn da «unser Produkt», unsere Leistung?

So taugt der Zufall – oder besser: Das besser oder schlechter kaschierte Laissez-faire oft recht nonchalant agierender Trainer – nicht als professionelle Coaching-Grundlage. Aber auch eine kalt formalisierte Methode bringt nicht das ans Licht, was das eigentlich Menschliche ausmacht.

Da mag man lange diskutieren, was dieses Menschliche denn sei: Zwei Komponenten gehören aber sicher dazu, es ist die persönliche Weltsicht und die freie Willensentscheidung.

Beide ins Extrem getrieben – Zufall und Methode – tragen diesen existentiell konstitutiven Grundzügen menschlichen Seins meines Erachtens nicht ausreichend Rechnung.

In der Praxis wird es daher auch in der Aufarbeitung unternehmerischer Situationen (mein Arbeitsgebiet) im Grundsatz auch um diese Grunddinge gehen müssen. Oder anders, subjektiver: Mir geht es in meiner Beratung und Hinführung immer darum.

Methode ist kein Erfolgsgarant

These 2: Wenn wir also andererseits nur strikt eine Methode einsetzen, ein starres Raster, immer die selben «Techniken», Phrasen oder was dem sonst noch ähnlich sein sollte, machen wir fast das gleiche wie bei der «Anwendung» des Zufalls: Wir vergewaltigen dieses Mal aber offensiver, eben «methodischer». Und wir unterstellen, dass sich die Realität «methodisch» irgendwohin zwingen liesse.

Zudem laufen wir eminent Gefahr, unser Gegenüber in ein Raster zu pressen, das ihr oder ihm absolut nicht entspricht. Wo also liegt der Nutzen einer Methode? Und welche Rolle spielt die Weltsicht-Entscheidung, die frei gewählte Lebens-Perspektive unserer Klienten in unseren Konzepten?

Ohne eine «frei erworbene» Weltsicht wird es keine echte Individualität und Authentizität geben. Und schon gar keine gute, eigenständige Willensentscheidung. Vor allem sind diese beiden Teile aber wesentlicher Grundzug jedes «Turnaround», jeder Wende.

Verantwortlichkeit äusserst sich in Paradigmen

These 3: Wahrscheinlich bringt uns – analog den Standard-Situationen im Fussball («guter Freistoss») – aber die Anwendung von Frage- und Antwort-Mustern, noch besser von ganzen Handlungsmustern («Paradigmen») weiter. Eine gut gestaltete und beherrschte Methode hilft in jedem Fall uns, den Beratenden, die Dinge zu ordnen.

Doch bringt sie auch die Klienten weiter? Und wo genau ist «weiter»? Wohin leiten uns unsere Handlungsmuster? Und wieviel Vorgaben dürfen wir unseren Klienten machen?

Dies ist auch eine ethische Frage: Ist es gut, also auch rational vertretbar, wenn wir Handlungsmuster anbieten oder gar vorgeben?

Ohne Erfahrung keine Beratung

These 4: Es ist die Summe unseres Lebens – Geschichte, Wissen, Identität und aggregierte Erfahrung – die in meinen Augen den Kern einer ethisch vertretbaren Beratung (ich setze hier mit «Coaching» gleich) bilden.

Es ist, so scheint mir, die Virtuosität unseres eigenen Seins, zu der hin wir eine Art Hinweis-Schilder – «Wegmarken» würde ich sagen, wenn der Titel nicht schon besetzt wäre – stellen. Schilder, die auf die eigene, selbst frei erwählte Virtuosität unserer Klienten hinweisen. Als irgendwie überzeugende «Beispiele» im besten Sinne, dies auch an den ursprünglichen Sinn des Wortes «Paradigma» angelehnt (so in der «Rhetorik» des Aristoteles).

Es sind Hinweis-Schilder zur Nachahmung, nicht des Zieles natürlich, sondern zur Nachahmung der Idee, der Vorstellung, des erstrebten Horizonts: Erfülltes, selbst bestimmtes Leben.

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