Erinnerung schafft Identität, prägt unser Selbstverständnis auch inhaltlich und liefert – ein wenig beachteter Aspekt! – den Stoff, aus dem wir unsere Visionen für die Zukunft formen. Und es könnte eigentlich alles so schön sein…

Elternliebe kann wunderschöne Erinnerungen in uns verankern…

Vor wenigen Tage sass ich mit Klauss zusammen, und es war wieder eines der seltenen Male, in denen er von seiner Vergangenheit erzählte.

Mir war es fast unbedacht «herausgerutscht», dass ich in Kindheit und Jugend immer und immer wieder und in vielen Gestalten Gewalt als Erziehungsmittel erlebt hatte: «Von Hand», mit dem Stuhl, mit dem Kleiderbügel oder dem «Teppichklopfer» oder durch Nahrungsentzug, «therapeutisch ungenügend abgestützte Medikamentengaben oder – ja – Freiheitsentzug. Und speziell mein ehrlich und von tiefem Herzen verehrter Vater «erwarb» sich meine Aufmerksamkeit bisweilen durch Ohrfeigen.

Ausgerastet ist er zum Glück nur selten, aber dann hätte es auch – er war Schwergewichts-Boxer – leicht tödlich enden können. Selten genug kam es mir und auch meiner Mutter gegenüber dazu, aber das Drohszenario hatte er verbal oft benutzt: Seine Faust «rieche nach Friedhof». Die Rache meiner Mutter tat dann – auf vielen Ebenen – ein Übriges zur Zerstörung unserer Familie.

Ich war noch nicht fertig mit meinem gedankenverlorenen Exkurs in meine Vergangenheit, da verloren sich Klaus’ Augen seinerseits in einer unbestimmbaren Ferne, irgendwo hinter den hölzernen Wänden unseres kleinen Baubüros, in dem wir gerade 30% unserer Zeit zusammen arbeiten. Fern in den «Kammern seines Gedächtnisses» (Augustinus).

Und – oh Wunder! – Klaus erzählte… und ich hörte gebannt zu. Geschlagen hätte ihn sein Vater in den längst vergangenen Tagen seiner Jugend praktisch nie, aber gedroht hätte er dauernd und äusserst glaubwürdig. Und die beiden Männer, der Junge (Klaus) und der Alte (sein Vater), hätten sich im Laufe der Zeit extrem darüber entfremdet. Wilde, fluchende Drohungen, das war alles, was Klaus an «Liebesbezeugungen» erhalten hatte.

Und so sei es ihm nie gelungen, mehr zu entwickeln als fachliche Kompetenz. Da war er freilich lange ziemlich gut, immerhin hatte er es bis zu einer glaubwürdigen Bewerbung an die Schweizer Berufsmeisterschaften (heute «Swiss Skills») gebracht und 26 Jahre lang eine eigene kleine Aktiengesellschaft geführt.

Doch alles andere, «das mit dem Reden» («Kommunikation») und «mit den Leuten» (Menschführung) und auch mit «dem Rechtszeug» (Vertragsmanagement, Finanzen u.ä.), dafür hat er nie ein Gefühl entwickeln können. – Ich konnte das, aus meiner Erfahrung mit Klaus, nur still und ohne eine Gesichtsregung innerlich bekräftigen. Das ist ja der Grund unserer Zusammenarbeit.

Anders aber sein Sohn, der sei jetzt in seinem Fach sogar schweizweit Zweiter geworden, und Klaus strahlte (seltener Fall) vor Glück. Wunderschön zu sehen!

Was sagt uns das? Ad 1: Die Menschen sind nicht alle gleich. Klaus’ nach innen gekehrte Art hatte es ihm unmöglich gemacht, die jugendlichen Defizite in eine Art «Kompensation am Markt» umzumünzen. Er ist dadurch extrem einsam geworden, und u.a. diese Einsamkeit hat am Ende dazu geführt, dass er die vielen Mitarbeiter seiner Handwerks-AG sehr oft ebenfalls alleine gelassen hat. Zweimal in den vergangenen 8 Jahren ist ihm dann die gesamte Belegschaft davongelaufen, und er wurde x-mal von den eigenen Leuten betrogen.

Ich selbst war da viel glücklicher: Ich habe mein Leben – auch als Reaktion auch Gewalt, Übergriffe vielerlei Art, Lüge und Alkohol in der Familie – ab etwa dem 14. Lebensjahr, wo immer es ging, «draussen» gelebt. Auf den Märkten, auf Sportplätzen, in Bands, im Journalismus und im Event-Management und eben auch an der Schule.

Ad 2: Können wir als Unternehmer unsere Erinnerungen nicht aufarbeiten und das Produkt dieser Aufarbeitung nicht sinnvoll in unser «Berufs-Ich» integrieren, werden wir fast unweigerlich an irgendeinem Ende scheitern. Früher oder später. Die Geister des Früheren werden den guten Geist des Kommenden korrumpieren, unterwandern, dunkel einfärben. Wir müssen die «Gespenster» adressieren! Konfrontieren! Eliminieren, wenn das irgend geht-

Ad 3: Ich habe, ich durfte, von unserer Baubesprechung wieder einmal etwas lernen. Fürs Leben, für das wir bekanntlich («non scholae, sed vitae…») lernen.

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